Das Rätsel der „Dame von Buya“
01.03.2009
arte
Dokumentation
Zum „Darwin-Jahr“ 2009 führt die Dokumentation zur Wiege der Menschheit – nach Ostafrika.
Projekt für ARTE März 2009
Es geht um Forschung extrem. Seit Mitte der 90er Jahre schlägt ein Team unter Leitung des florentinischen Geologen Ernesto Abbate jährlich seine Zelte im eritreischen Teil der Danakil – Senke auf. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt das Gebiet für Europäer als Todeszone. „Höllenloch der Schöpfung“ nannte der Brite L.M. Nesbitt diese Wüste, die sich von der Küste des Roten Meeres keilförmig bis ins heutige Äthiopien und Dschibuti erstreckt. 1928 war es ihm als erstem Europäer gelungen, die Wildnis zu durchqueren. Sämtliche früheren Expeditionen waren spurlos in der berüchtigten Einöde verschwunden – Opfer der feindseligen Nomaden, die dafür bekannt waren, getötete Feinde zu entmannen, um mit den makaberen Trophäen ihre Frauen zu beschenken.
Professor Abbate und sein eritreischer Kollge Dr. Yosief Libsekal forschen auf den Spuren der Menschheitsgeschichte. Zu Beginn ihrer Kampagnen interessierte sie nur die einzigartige Geologie des Danakil. Sie ahnten nicht, dass ausgerechnet im „Höllenloch der Schöpfung“ sensationelle Erkenntnisse über die Wiege des „homo sapiens“ ans Licht kommen würden. Bis an einem Grabungstag ein weißer Knochen aus dem Sediment leuchtete – und die Situation komplett veränderte.
Es handelte sich um den fast vollständig erhaltener Schädel eines frühen Menschen, vermutlich einer jungen Frau. „Signora de la Buya – Dame von Buya“ nannten die Wissenschaftler das Fossil liebevoll. Welch einzigartige Bedeutung der Fund aber wirklich hatte, stellte sich erst etliche Jahre später heraus. Denn 1998 flammte zwischen Eritrea und Äthiopien ein Krieg auf und machte weitere Grabungs- kampagnen und die Untersuchung des Fundmaterials unmöglich.
Noch immer arbeiten italienische Anthropologen an den Daten der „Dame“ – doch die ersten Ergebnisse, die seit 2004 vorliegen, sind bereits spektakulär: Das Alter konnte auf eine Million Jahre datiert werden. Es handelt sich um den am besten erhaltenen menschlichen Schädel aus der Phase zwischen 600.000 und 1,4 Millionen Jahren. Doch was die Forscher wirklich elektrisierte, war das ungewöhnliche Aussehen des Buya-Menschen: Der Schädel verbindet die typischen Merkmale der frühen Menschenform „homo erectus“ mit ersten Anzeichen der Entwicklung zum „homo sapiens“, zum anatomisch modernen Menschen.
Damit liegt der Beweis vor, dass die Entwicklung zur Entstehung unserer Gattung in Afrika bereits vor einer Million Jahre begann – 300.000 Jahre früher, als bisher angenommen.
Die Grabungen dienen seither einzig dem Ziel, das Rätsel der Dame von Buya zu lösen. Wie sah ihre Lebensumwelt aus? Gibt es Hinweise auf Bedingungen, die die Entwicklung der frühen Menschen beein-
flusst haben?
Unser Filmteam wird exklusiv für ARTE die nächste abenteuerliche Expedition nach Eritrea begleiten. Im zweiten Teil des Films werden die Ergebnisse der Grabung in den aktuellen Stand der wissen- schaftlichen Diskussion eingebunden.
Der Hominide von Buya unterstützen massiv die Meinung einer großen Fraktion von Experten, die die Wiege der modernen Menschheit in Afrika sehen. Ihrer Auffassung nach sollen sich nicht nur die ersten menschenähnlichen Wesen überhaupt auf dem Schwarzen Kontinent entwickelt haben, sondern auch unsere Gattung, der „homo sapiens“. Unbestritten ist, dass vor etwa 2 Millionen Jahren frühe Hominiden aus Afrika auswanderten und in einem langen Prozess weite Teile Europas und Asiens besiedelten. Könnte sich der moderne Mensch nicht aus einer Gruppe dieser Exilanten entwickelt haben, möglicherweise sogar an mehreren Stelle gleichzeitig? Die jüngsten Entdeckungen in Afrika sprechen dagegen. Weder in Europa noch in Asien wurde bisher ein anatomisch moderner Mensch ausgegraben, der älter als 40.000 Jahre wäre. Doch das Buch der Evolutionsgeschichte hat viele Kapitel – und das letzte ist noch lange nicht geschrieben. Möglicherweise hält das „Höllenloch der Schöpfung“ noch einige Überraschungen bereit.